Angesichts des 50.Jahrestages der Befreiung vom Faschismus gedenken die
Liberalsozialen der Opfer der faschistischen Eroberungs- und Rassenpolitik.
Millionen von zu Staatsfeinden oder für minderwertig erklärte Menschen,
wie Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle, Christen, Zeugen Jehovas, Kommunisten
wurden von den Faschisten erschlagen oder wie die Liberalsozialen Rudolf
Zitzmann oder Prof. Ude inhaftiert.
Freiwirte, die die menschenverachtende faschistische Politik kritisierten,
wurden, wie Dr. Bededikt Uhlemayr, erschlagen oder jüdische
FreiwirtschaftlerInnen, wie die ehemalige Vorsitzende des Freiwirtschaftsbundes,
Berta Heimberg, mußten während der faschistischen Herrschaft aus
Deutschland emigrieren.
Schon Silvio Gesell, der Begründer der freiwirtschaftlichen Bewegung,
befand die "Judenhetzerei als kolossale Ungerechtigkeit". Sein Denken hatte
einen internationalen Horizont. Jeder Mensch sollte überall auf der
Welt leben und arbeiten können.
Trotz des freiheitlichen Charakters der Gesellschen Wirtschafts- und
Gesellschaftstheorie nehmen wir heute rückblickend zur Kenntnis, daß
es nicht wenige Freiwirte gegeben hat, die z.B. mit Hilfe des "Rolandbundes"
eine Chance gesehen haben, in der nationalsozialistischen Bewegung zu wirken.
Diese Freiwirte verhielten sich wohl ähnlich angepaßt, wie damals
die Mehrheit des deutschen Volkes.
Während einige in naiver Verkennung erhofften, daß die Übernahme
freiwirtschaftlicher Reformen letztlich dem Faschismus in Richtung menschlicher
Überzeugungen reformieren würde, glaubten andere Freiwirte, wie
Kurt Becker sowie der ehemalige Schriftleiter der Zeitung "Der Dritte
Weg", Hans Schumann, in Verkennung der freiwirtschaftlichen
Grundlagen, völkische Gedanken mit den freiwirtschaftlichen Theorien
verbinden zu können. Der ausgeprägte Individualismus der
Freiwirtschaftsbewegung wurde bei diesen freiwirtschaftlichen Vertretern
dann zum Führerprinzip. Das Eintreten füreine gerechtere Bodenordnung
wurde zur Verherrlichung der faschistischen Bodenpolitik.
Das liberale Wettbewerbsprinzip wurde als Kampf gegen alles Schwache
mißgedeutet. Freikörperkultur, Antialkoholismus und gesunde
Ernährung sollten nun der Gesundung des "Volkskörpers" dienen.
Die kapitalistische Realität sowie der kommunistische Machtbereich
wurden entgegen der andersgerichteten Auffassung Gesells als Schöpfung
des internationalen Judentums angesehen. Die "Hochzucht des
Menschengeschlechtes", ein schon bei Gesell problematischer Begriff, pervertierte
man noch mehr im Rahmen völkischer
Hochzüchtungsvorstellungen.
Der Krieg wurde nicht vor dem Hintergrund humanistischer und pazifistischer
Überlegungen abgelehnt, sondern aufgrund der Tatsache, daß durch
ihn die "Hochzucht verhindert" und die "besten des Volkes" getötet
würden.
Diese Vertreter der Freiwirtschaft verstanden sich nicht als eine
Interessenpartei in der zu schützenden und bewahrenswerten Demokratie,
sondern als Anhänger einer alle Interessengegensätze verneinenden
Theorie, die zur NS-Volksgemeinschaft beitragen sollte. Die
"Natürliche Wirtschaftsordnung" war ihnen demzufolge eine Ordnung,
die sich an der behaupteten völkischen "Natur des Menschen" zu orientieren
habe.
Es gab jedoch auch Freiwirte, die die Gefahr, die von den Faschisten für
Humanität und Menschlichkeit ausging, erkannten und offen publizistisch
bekämpften.Neben den bereits erwähnten sei an dieser Stelle besonders
auf Prof. Diehl hingewiesen. Andere erkannten das Verbrecherische
des faschistischen Systems nur teilweise oder ließen sich zeitweise
von der braunen Pest blenden.
50 Jahre nach Kriegsende stellen wir betroffen fest, daß es heute
offensichtlich wieder verstärkte faschistische und fremdenfeindliche
Bewegungen in Deutschland gibt, die selbst vor Gewalt gegen Menschen nicht
zurückschrecken. Es gibt wieder Anschläge gegen Synagogen. Die
nationale Blickrichtung hat Hochkonjunktur. Verfolgten Ausländern wird
das Asylrecht verschlossen und der zweiten und dritten Emigrantengeneration
wird die doppelte Staatsbürgerschaft verweigert.
Dieser neue alltägliche Rassismus reicht bis weit in die Mitte der
Gesellschaft hinein und wird aus ihr gespeist.
Wir halten es gerade deshalb für unsere Pflicht, rechten Tendenzen innerhalb
der Freiwirtschaftsbewegung entschlossen entgegenzutreten. Wenn bestimmte
Freiwirte Bücher und Zeitschriften, die
Weltverscherschwörungstheorien, antisemitische oder nationalistische
Sichtweisen vertreten oder die Kriegsschuld Deutschlands leugnen, publizieren,
muß ihnen entschieden widersprochen werden. Hier gilt es, viel kritischer
zu werden. Freiwirte sollten auf Grund der antinationalen- menschheitlichen
und antikapitalistischen Alternative Silvio Gesells sich verpflichtet
fühlen, wachsam völkischen Tendenzen entgegenzutreten.
Obwohl man sich formalistisch vom "Extremismus von links und Rechts" distanziert,
scheint insbesondere bei der freiwirtschaftlichen Partei FSU
diesbezüglich ein Diskussions- und Handlungsbedarf zu bestehen. So konnte
in einer internen Mitgliederbeilage der Zeitschrift "Der Dritte Weg"
Johannes Jenetzky unwidersprochen (?) ausländerfeindliche und
deutschnationale Positionen vertreten (Der Dritte Weg 11 (1991)). Der
Bücherdienst der FSU vertreibt Bücher mit
verschweörungstheoretischen Inhalten (Y. Otani:"Untergang eines
Mythos"). Es werden Bücher vertrieben, in denen die Verantwortung
Hitlers für den deutschen Überfall auf Polen und somit die Kriegsschuld
Deutschlands verschwiegen oder umgedeutet werde (H. Schumann: "Gegen den
Strom")
Die im Lager der "Neuen Rechten" angesiedelten Zeitung "Junge Freiheit"
gilt im Dritten Weg im positiven Sinn als zitierfähig.(Der Dritte Weg,
1 (1995), S.5-8)
Zu untersuchen ist auch, welchen Einfluß Kräfte aus der SRP
- Sozialistischen Reichspartei- des Nazigenerrals Remer, der den
Aufstand vom 20.07.1944 niederschlug, in dieser sich auf Gesell berufenden
Partei, FSU, ausübten, in die einige überwechselten.
Zur Klarstellung, die auch dem Interesse der Gesamtbewegung dient, sollte
die FSU ihr Archiv der Forschung öffnen, einschließlich des internen
Mitgliederblattes.
Bisher fehlt in der FSU-Zeitschrift ein befreiendes klärendes Wort zu
diesen Fragen.
Die generellen Faschismusverdächtigungen gegenüber der
Freiwirtschaftsbewegung, wie sie von Jutta Ditfurth immer wieder
vorgebracht werden (zuletzt in KONKRET, Nr. 4 (1995)), sind allerdings
unwissenschaftlich und dienen letztlich denen, die ein Interesse an der
Verschleierung ihrer antisemitischen, nationalen und antidemokratischen
Auffassungen haben.
Die Gefahr ist groß, daß sich ohne freiwirtschaftliche Reformen
in unserem kapitalistischem System bei zunehmender Krisenentwicklung in aller
Welt, die Anfälligkeit für scheinbar einfache "nationalistische
Lösungen" wieder verstärken. Gerade deshalb werden wir uns weiterhin
für unsere notwendigen antikapitalistischen Alternativen im Geld- und
Bodenbereich einsetzen.
Aus der Erkenntnis der Schuld, die aus der Verstrickung deutscher
Staatsbürger, insbesondere auch einzelner Freiwirte entstanden ist,
fühlen wir als liberalsoziale Bewegung eine Verantwortung, aus den Fehlern
in Zukunft zu lernen und für eine freiheitliche, soziale, humane,
demokratische und gerechte Gesellschaft, in der Fremde nicht mehr als Fremde
angesehen werden, einzutreten.
(Diese Erklärung wird auch von der Liberalsozialen Aktion (LSA)
getragen.)
(Aus: ALTERNATIVE 2000, Zeitschrift für eine liberalsoziale Ordnung,
Nr.15, Sommer 1995, S. 4 f.)
Abschnitt: Rechte und nationale Tendenzen in der Freiwirtschaftsbewegung?
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Letzte Änderung am
14.01.1998