Immer wieder wird den Freiwirten oft aus kommunistischen beziehungsweise
antifaschistischen Kreisen global vorgeworfen, braune Propaganda zu betreiben.
So kann man derzeit im Internet unter der URLs:
http://www.nadir.org/nadir/archiv/Antifaschismus/Organisationen/Diverse/AIgesell.html
Verallgemeinerungen aber auch berechtigte Vorwürfe an die Bewegung
enthält. Die wirtschaftlichen Auffasungen von Gesell versucht
ein unbekannter (!) Autor mit denen von Gottfried Feder gleichzusetzen,
da beide Zinsgegner waren.
Wenn man jedoch die wirtschaftspolitischen Aussagen von Gesell und Feder
ernsthaft vergleicht, fallen sofort die große Unterschiede in der Theorie
auf. Gesell tritt z.B. für eine stabile Währung ein, während
Feders Gelddeckungsvorschläge inflationär angelegt sind. Gesell
distanzierte sich nicht nur aus diesem Grunde vom Nationalsozialisten
Feder.
Aber auch Feder lehnte Gesell auf Grund seiner internationalen Gedanken und
seiner Wirtschaftsvorstellung deutlich ab. Daher schrieb er bereits 1923
in einer Beilage zum "Völkischen Beobachter":
"Der gefährlichste dieser deutschen Propheten war und ist Silvio
Gesell. Seine Lehre von Freiland und Freigeld hat geradezu Verheerungen
angerichtet in vielen deutschen Köpfen. Erst nach diesen Irrwegen haben
sich viele unserer besten Vorkämpfer von den Gesellschen
Gedankengängen losmachen können. Nachdem schon im Jahre 1921 auf
dem zwischenstaatlichen Vertretertag der Nationalsozialisten
Großdeutschlands die Lehre Gesells geradezu als tödlich für
das deutsche Volkstum abgelehnt worden war.
In einer Artikelserie ist diese Auseinandersetzung mit Silvio Gesell in den
nationalsozialistischen Monatsheften "Volk und Gemeinde" im Jahre noch vertieft
worden, so daß die restlose Ablehnung und wissenschaftliche Erledigung
der Gesellschen Irrlehre heute als Gemeingut des Nationalsozialismus
angesehen werden kann."
(G.Feder: Falsche Propheten und Schwarmgeister, in: Der Nationalsozialist,
Beilage zum Völkischen Beobachter vom 27.10.1923)
Entweder verschweigt man/frau daß Gesell die "Judenhetzerei" deutlich
verurteilte,
"Die Judenhetzerei ist eine kolossale Ungerechtigkeit und eine folge
des heutigen Münzwesens.(...) Die Münzreform schützt
die Juden nicht allein vor jeder weiteren Verfolgung, sondern sie sichert
auch der deutschen Wissenschaft und Gesetzgebung die Mitwirkung des
jüdischen Scharfsinnes."
(S.Gesell: Nervus Rerum, Buenos Aires 1891, S.72f)
"Ford (...)In seinem Kampf gegen die die New-Yorker Hochfinanz
aber wandelt er eigene Bahnen. Sein Buch:"Der internationale Jude"
soll beweisen, daß es vor allem die Juden seien, welche die Welt in
den Abgrund führen(...) Der Freiwirt weiß, daß Kriege vor
allem der Ausfluß des, seit der christlichen Zeitrechnung geltenden
Boden(un)rechtes sind, das auch von den allerchristlichsten Regierungen
heilig gehalten wurde und wird.
Eines ist richtig im Ford´schen Buch: Die Juden haben Jahrhunderte lang
die Währungspolitik ganzer Völker beherrscht (Rotschild), beherrschen
sie vielleicht (Hervorhebungen d. H.-J.W.) heute noch (New York).
Daß die Juden das Geldwesen durchschauen und lenken lernten, erklärt
sich historisch. Es sind gerade die Christen, die das ursprünglich anders
orientierte Volk zum Geldhandel gezwungen haben. Im Mittelalter beanspruchten
die Christen alle ehrlichen Handwerke und Berufe für sich; der schmutzige
und entehrende Beruf des Geldhändlers und Wechslers (Zinsverbot)
wurde einzig denn Juden überlassen. Wie darf ein Christ, wie Ford,
es ihnen zum Vorwurf machen, daß sie es darin zur Meisterschaft gebracht
haben? Für unser Volk baumelt es sich übrigens gleich angenehm
am jüdischen, wie am christlichen Zinsgalgen. Nicht die Verruchtheit
eines besonderen Volkes ist Schuld an der Gegenwart, es ist die
Rückständigkeit der gesellschaftlichen Ordnung; die Barbarei der
ganzen Menschheit.(...) Diese Juden handelten nur als ebenbürtige Genossen
der christlichen Landräuber Gould, Vanderbildt, des bluttriefenden
Menschenfreundes Carnegie, des Schuftes und Philantropen Morgan. Die Missetaten
der Hochfinanz gliedern sich nicht in christliche und jüdische; es ist
unterschiedlos der Sieg des Mammonismus über die Menschenseele. Ford
hat Unrecht einen Sündenbock zu konstruieren. Nicht die Juden sind zu
bekämpfen, sondern die Machtmittel, die in jüdischen und christlichen
Händen seit Jahrhunderten namenloses Unglück anrichten. Von der
Zinsbürde frei, wird die Seele den Weg zum Guten finden,"
(Silvio Gesell: Gesammelte Werke, Bd.14, Lütjenburg 1993,
S.400)
oder biegt sich diese nun mal nicht zu leugnende Tatsache auf Grund schlampiger
Recherche oder bewußter Verdrehung so zurecht, daß sie ins eigene
Geschichtsbild paßt:
"Die zentrale Forderung den Kapitalismus von der "Zinsknechtschaft"
zu befreien (zielte) objektiv auf die Zustimmung durch die mehrheitlich
antisemitische deutsche Gesellschaft (..). Um antisemitische Einstellungen
für seine Theorie zu aktivieren, brauchte Gesell selbst keine antisemitische
Propaganda zu betreiben."
(Jutta von Ditfurth: Entspannt in die Barbarei, Esoterik,
(Öko-)Faschismus und Biozentrismus, Hamburg 1996, S.83)
Gesell hat sich auch schon recht früh gegen völkische Bestrebungen
geäußert. So schrieb er in der NWO:
"Keine Menschenopfer fordert der Friede, aber `Geldopfer
unerhört´! Daneben das Opfer köstlicher Vorrechte, liebgewonnener
Vorurteile, völkischer Bestrebungen und Lebensanschauungen."
(Silvio Gesell: Die Natürliche Wirtschaftsordnung, 9.Aufl., Lauf
b. Nürnberg 1949, S.78)
Dem Begründer der Freiwirtschaftsbewegung lag - mit seinen
Vorstellungen von einer freien wirtschaftlichen Verbindung aller Völker
und einem freien Handel - nationales Denken fern. Er verstand sich als
Weltbürger und Internationalist. Eine solche Haltung geht auch aus seinen
folgenden, recht sarkastischen Bemerkungen deutlich hervor:
"Zunächst werden die einzelnen Völker durch den Begriff "Ein-
und Ausfuhr" in Gegensatz zueinander gesetzt. Der Staatsbegriff erhält
einen ganz neuen Inhalt. Der tolle Begriff des "nationalen Wirtschaftsgebietes"
erscheint.(...) Die Waren erhalten ein staatliches Gepräge. Es handelt
sich nicht mehr um einen einfachen Austausch der Produkte. Die Bezeichnung
"deutsches Erzeugnis" (made in Germany), von Englang gefordert, sollte einen
Gegensatz zum "englischen Erzeugnis" (made in England) schaffen. Da die
Völker das Rassengepräge immer mehr verlieren, so wollte man es
wenigstens der Stiefelwichse verleihen, die man von Deutschland erhielt."
(Silvio Gesell: Die Natürliche Wirtschaftsordnung, 9.Aufl., Lauf
b. Nürnberg 1949, S.230)
Gesell reagierte zunächst äußerst tolerant gegen den Zuwachs
von Anhängern aus dem nationalen Lager auf, da er hoffte, daß
sich diese unter dem Einfluß der Freiwirtschaftstheorie langsam von
ihren alten Auffassungen lösen würden. Dies trat aber nur bedingt
ein, so daß sich Gesell 1925 zu dem Schritt veranlaßt sah, seine
Mitarbeit beim Freiwirtschaftsbund einzustellen und mit aller Kraft für
den Physiokratischen Kampfbund zu wirken. In einem Brief an den Freiwirt
Will Noebe schrieb er am 26.08.1925:
"Die Entwicklung der freiwirtschaftlichen Theorien zu einer politischen
Bewegung, das Hinauswachsen aus dem Stadium der Literatur zwingt mich zu
einer entscheidenden Stellungnahme hinsichtlich des Programmes dieser politischen
Bewegung und dafür zu sorgen, daß der leitende Gedanke der
Freiwirtschaft im Programm in möglichst klarer und unzeideutiger Weise
zum Ausdruck komme.(...) Mein Irrtum ist es auch gewesen, das ich der
freiwirtschaftlichen Gedankenwelt eine viel größere erzieherische
Kraft zumaß. Mir war es eine Selbstverständlichkeit, daß
die nationalistischen Federn, die den freiwirtschaftlichen Mauserungsprozeß
überlebten, über kurz oder lang abgestoßen würden. Solches
ist bei vielen FFF-Leuten leider nicht eingetreten. Diese Federn sitzen sehr
fest und ich bin auch noch nicht dahintergekommen woran das liegt. Daß
es ein Erziehungsprodikt ist, das ist mir klar, aber das dieses Erziehungsprodukt
der reifen Ueberlegung des heranwachsenden Mannes nicht weichen kann, das
ist, wie gesagt, schwer verständlich. Mir deucht fast, daß der
nationalistische Wahn mit dem religiösen Wahn zu einer Einheit
rattenkönigverschwanzt ist, und daß hier Religion und Nationalismus
gleichzeitig angegriffen werden müssen. Als Kaiser Konstantin die
christliche Lehre zur Staatsreligion "erhob", da wurde der Plan geschmiedet,
aus Gott und Staat einen Brei zu machen und diesen den Staatsknechten auf
die Augen zu streichen.(...) Die nationalistischen Elemente stoßen
sich an der Freilandforderung, wie ich sie von Anfang an immer vertreten
habe. Diese Pille vermögen sie nicht zu schlucken.(...) Nachdem nun
endlich durch Timm eine klare Scheidung vollzogen worden und das von ihm
entworfene Programm (des Physiokratischen Kampfbundes Anmerkung v. H.-J.Werner)
keine Zweideutigkeiten mehr zuläßt (...) habe ich mich entschlossen,
meine Kräfte in den Dienst der Timmschen Organisation zu stellen und
lehne meine Mitarbeit an anderen Publikationen ab. gez.:Silvio Gesell"
(Silvio Gesell an Will Noebe, in: Die Freiwirtschaft durch Freiland und
Freigeld, 20.Heft, 10 (1925), S431f)
Im Gegensatz zu Gesell findet man hingegen bei Karl Marx viele
Rückgriffe auf gängige Vorurteile gegenüber Juden. Sie sind
beschrieben bei: E.Silberner: Sozialisten zur Judenfrage, ein Beitrag
zur Geschichte des Sozialismus vom Anfang des 19.Jahrhunderts bis 1914, 1.Aufl.,
Berlin 1962, S.136 ff.) Marxistische Gesell-Kritiker, wie V.Wölk
sind diese Äußerungen von Marx keine Zeile der Kritik wert, was
deutlich macht, daß die Faschismusvorwürfe scheinbar nur ein Vehikel
zu sein scheinen mit der man sich die lästige Konkurrenz der
freiwirtschaftlichen Kapitalismuserklärung vom Hals schaffen will. (Vgl.
hierzu seinen Artikel :
Tausche
einen Karl Marx gegen einen Silvio Gesell? Oder: Ist der Zins an allem Schuld?
Über eine "Freiwirtschaftslehre", Tauschringe und ihre Verbindungen
zur extremen Rechten und zu Neuheiden - Eine (fast) unendliche Geschichte
)
Marx bringt in der Auseinandersetzung mit Lassalle nach Silberner einen
"besonders reichen Wortschatz ans Licht". Neben den wenig schönen
Bezeichnungen, wie "der Hund", "das Vieh" bezeichnet er Lassalle z.B.
als "Jüdchen", "Jüdel", "Jüdel Braun", "Epphraim Gescheit",
"Itzig", "Iitzig", "Baron Itzig", "jüdischen Baron", baronisierter
(...) Jude oder "jüdischen Nigger". Die Philosophie Herakleitos
wolle er nur unter der Bedingung lesen, "daß es nicht nach Knoblauch
duftet".
Während es ihm die Juden besonders angetan haben, urteilt Marx auch
gegenüber anderen Nationen herablassend. Die tschechische Nationalität
sei eine "sterbende Nationalität". Rumänen, Serben und Kroaten
bezeichnet er als "konterrevolutionäre" bzw. "reaktionäre
Natiönchen". Chinesen und "Yankees" seien
"Betrüger".
Auch bei späteren Anhängern von Karl Marx kann man ein problematisches
Verhältnis gegenüber den Juden feststellen.
Stalin war von der Idee einer angeblich jüdischen "Verschwörung"
besessen. Schon früh hatte er antisemitische Neigungen und die Heirat
seiner Tochter Swetlana mit einem jüdischen Mann war für ihn ein
Anlaß die Verschwörungstheorie weitere Nahrung zu geben. Die
Verschwörungsvorwürfe Stalins wurden schließlich gegen das
vom Jüdisch Antifaschistischen Komitee (JAFK), welches 1942 gegründet
worden war, konkretisiert. Vorsitzender dieses Komitees war der Schauspieler
Solomon Michoels. 1943 hatte dieser bei einer Schauspielreise durch die USA
zusammen mit jüdischen Organisationen Hilfsprogramme für für
die Menschen in der Sowjetunion ins Leben gerufen, was ihm den Vorwurf der
Spionage und Verschwörung einbrachte. Das JAFK sollte nach Auffassungen
Stalins eine Hauprolle bei der Bildung einer provisorischen jüdischen
Regierung zwecks Abspaltung der Krim als zukünftiger "Brückenkopf
des US-Imperialismus" darstellen. Stalins Vorwürfe gegen das JAFK
führten in der Folge nach Auffassung des Dramatikers und Historikers
Borschtschagowski dazu, die Vernichtung der gesamten jüdischen Kultur
in der Sowjetunion voranzutreiben.(Alexander Borschtschagowski: Orden
für einen Mord. Die Judenverfolgung unter Stalin, Berlin 1997) Man
durfte jüdische Opfer des Nationalsozialismus, wie z.B. Anne Frank nicht
mehr erwähnen, da sie nicht ins eigene ideologische Konzept paßten.
Ein Schwarzbuch, über die nationalsozialistischen Verbrechen an dem
das JAFK mitgearbeitet hatte und in den USA erschienen war, wurde als Verbrechen
tituliert. Die Zahl der im Buch genannten sechs Millionen getöteter
Juden wurde geleugnet. Hans-Paul Höpfner sieht in diesem Vorgehen Paralellen
zur heute teilweise vertretenen "Auschwitz-Lüge".(Hans-Paul
Höpfner: Die Judenverfolgung unter Stalin, Das Konstrukt einer
Verschwörung, in: Das Parlament vom 29.01.1999) Die von Stalin der
Verschwörung bezichtigten Mitglieder des JAFK wurden im Rahmen eines
Prozesses verurteilt und am 12.08.1952 hingerichtet.
Prof. Michael Wolffsohn hat so laut Lorenz Maroldt vom Berliner
Tagesspiegel (11.09.95) mit seinem Buch:"Die Deutschland-Akte. Juden und
Deutsche in Ost und West - Tatsachen und Legenden. München 1995"
auf einen anderen Aspekt des sozialistisch-kommunistischen Antijudaismus
hingewiesen. Er stellte folgende These auf:
"Die DDR hat die Juden stets als Instrument mißbraucht, innen- wie
außenpolitisch. Nach der Wende hat die PDS diese üble Tradition
übernommen."
Kritik an marxistischem Nationalismus und Antijudaismus findet
man bei den Kritikern von Gesell oder der Freiwirtschaftsbewegung, wie Jutta
von Ditfurth jedoch nicht.
Es stellt sich daher die Frage, ob der ausgewiesene "Antifaschismus", der
judenfreundliche, internationalistische und humanistische Textstellen bei
Gesell verschweigt und keinerlei Kritik an der antijüdischen Theorie
und Praxis von Anhängern des Kommunismus thematisiert, zur Legitimation
der eigenen Wirtschafts- und Gesellschaftsvorstellung dienen und die
unvoreingenommene Diskussion über freiwirtschaftliche
Wirtschaftsvorschläge als Alternative zum Kapitalismus verhindern
soll.
Diese Anfrage müssen sich Kritiker, wie der ASTA der Universität Hannover, Jutta von Ditfurth, Herr Woelk (Natur und Mythos, Ökologiekonzeptionen der "neuen" Rechten im Spannungsfeld zwischen Blut und Boden und New Age, 1.Aufl. Duisburg 1992), oder der Anonymus des Textes im Internet der "nadir.org" (s.o.) gefallen lassen. | ![]() |
Insbesondere dann, wenn sie sich noch nicht einmal namentlich zur Urheberschaft
ihres Text bekennen.
Neben national und völkisch eingestellten Freiwirtschaftlern gab es
auch Freiwirte, die den Nationalsozialismus kritisierten und ablehnten.
1931 schrieb der Freiwirtschaftler P.Diehl:
"was für die Anhänger des Marxismus der Unternehmer ist, (...)
das wird für den Anhang der Völkischen der Jude."
(P.Diehl: Wohin führt uns der Nationalsozialismus?, Lauf, Bern, Leipzig
1931, S.41)
"Ist das deutsch? Ist Fanatismus, die Glieder werfende Unbesonnenheit,
die orgiastische Verleugnung von Vernunft, Menschenwürde, geistiger
Haltung in irgendeiner tiefen Seelenschicht des Deutschtums wirklich zu Hause?
(...) Doch ist die Zeit wahrhaftig nicht danach getan, daß wir sie
mit (...) bramabarsierenden Reden und mit Soldatenspielen vergeuden! Wir
stehen am Abgrund!"
(P.Diehl: Wohin führt uns der Nationalsozialismus?, Lauf, Bern, Leipzig
1931, S.45)
Der Freiwirt Paul Regnault schrieb den Nationalsozialisten in
das Stammbuch:
"Wenn nun in Eurem Katechismus steht, daß die Lösung des
Zinsproblems die Lösung der Judenfrage bedeutet, so fürchte ich,
daß Ihr das Zinsproblem nie lösen könnt, weil Ihr es von
einer falschen Seite aus anseht. Wenn alle Juden totgeschlagen sind, ist
der Zins noch längst nicht beseitigt."
(N.N. (Regnault, P.: Der Wirtschaftsirrtum der Nationalsozialisten, Erfurt
o.J. (1930), S.7f)
Beispielhaft für andere Freiwirte seien an dieser Stelle die
Widerstandsaktivitäten von M.Hoffmann und R.Hoell
genannt.
Als der Nationalsozialismus die Macht übernahm beteiligten sich Martin
Hoffmann (Diogenes) und Rudi Hoell an Widerstandsaktivitäten
der Arbeiterbewegung auf lokaler Ebene.
Hoffmann beteiligte sich an den illegalen Schulungen und Flugblattaktionen
der Gruppe Neu Beginnen. 1936 oder 1937 wurde er verhaftet.
Rudi Hoell war nach Werner Onken Anhänger des neukantianischen Philosophen
Leonard Nelson und des liberalen Sozialisten Franz Oppenheimer. Er schloß
schloß sich dem Internationalen Sozialistischen Kampfbund (ISK)
an und kritisierte den Zusammenarbeitskurs der Leitung des Fysiokratischen
Kampfbundes. Er und seine Frau Marianne Hoell beteiligten sich
an der Schulung von 5er Widerstandsgruppen und an dem Verschicken von
Flugblättern wie den "Reinhardt-Briefen", die kritische Kommentare zur
NSDAP-Politik enthielten. Bei einem Aufenthalt in München wurde Rudi
Hoell verhaftet und starb nach Aussagen der Gestapo am 21.07.38 in seiner
Haftzelle. Seine Frau Marianne, eine Schwester des bekannten Freiwirtes Hans
Timm, wurde 1939 von einem Kammergericht zu zweieinhalb Jahren Gefängnis
verurteilt. (W.Onken: Natürliche Wirtschaftsordnung unter dem Hakenkreuz
- Anpassung und Widerstand, Lütjenburg 1997, S.29)
Nichtsdestotrotz bleiben auch berechtigten Vorwürfe gegen bestimmte
Mitglieder in der Freiwirtschaftsbewegung bestehen, die sich heute vor allem
an Personen im Umfeld der Partei Freisoziale Union (FSU ) festmachen
lassen.
Zwar gab es in den letzten Jahren vor allem um Klaus Popp im NRW-Landesverband
der FSU Bestrebungen die Partei von ihrer rechten Ausrichtung zu befreien,
diese haben jedoch nicht zu einem grundsätzlichen Umdenken innerhalb
der Partei geführt.
Hans Kadereit , Referent für FSU-Informationen bringt diese Position
in den Informationen der Freisozialen Union auf den Punkt, wenn er schreibt:
"Parteifreund Klaus Popp, der behauptet hatte und uns weismachen wollte,
die FSU von rechtsradikalen und faschistischen Elementen säubern zu
müssen, wurde samt seinen Gesinnungsfreunden von durch Willi
Schmülling alarmierten parteitreuen Freunden u.a. wegen mangelnder
Parteiarbeit aus dem Landesvorstand von NRW beim Landesparteitag am 30.05.1999
in Wuppertal abgewählt und trat aus." (frei & sozial 12/99, S. IV)
Unerwähnt ließ Kadereit dabei , inwiefern die Beauftragung von
Hans-Joachim Werner für ein Gutachten zum Umgang mit dem Vorwurf der
Rechtstendenzen gegen die FSU zur Abwahl von K. Popp beigetragen
hat.
Immerhin hatte W.Schmülling auf dem Landesparteitag in NRW das in Auftrag
gegebene Gutachten als
"Bösachten" bezeichnet, ohne, daß die dort aufgeführten
Kritikpunkte und Lösungswege auf der Parteiversammlung intensiv diskutiert
worden sind oder das Gutachten den Parteimitglieder unvoreingenommen vorgestellt
werden konnte.
Die Referententätigkeit von Horst Mikonauschke im Deutschen
Arbeitnehmerverband wird in "frei&sozial" von Kadereit nicht als Grund
für seine Abwahl als Parteivorsitzender der FSU genannt. Vielmehr ist
die Abwahl von Mikonauschke nach Kadereit damit zu erklären, daß
ein "weißer Ritter", Hermannn Benjes auf dem Parteitag als neuer
Vorsitzender "erschienen" ist.(ebenda)
Generelle Linie bleibt, daß man sich innerhalb der FSU zwar formel
von rechts und links distanziert. Eine konkrete Verantwortung für das
politische agieren der eigenen Mitglieder (Schumann, Bischof, Jenetztky,
Mikonauschke u.a.) mit rechten Theoremen lehnt man jedoch kategorisch ab.
Vielmehr fühlt man sich weiterhin zu Unrecht verfolgt und den Kritikern
innerhalb der Freiwirtschaftsbewegung spricht man sogar die Anhängerschaft
innerhalb Freiwirtschaftsbewegung ab. "Ein echter Freiwirtschaftler kann
kein Nazi sein! Wer das nicht begreift, kann kein echter Freiwirtschaftler
sein!" (Hans Kadereit, in: frei & sozial 12/99, S. IV)
"In diesem Zusammenhang wurde sogar nicht davor zurückgeschreckt, mit
sog. Antifaschisten gemeinsame Sache zu machen und bekannte und verdienstvolle
Parteimitglieder systematisch als rechtsradikal zu diffamieren."
(ebenda)
Der neue Vorsitzende der FSU, Hermann Benjes setzte im Dezember 1999
noch einen drauf, indem er die Kritik von Helmut Creutz an
Veröffentlichungen von Reiner Bischoff im Dritten Weg und seine Weigerung
mit ihm zusammen im "Dritten Weg" zu veröffentlichen als "Erpressung"
charakterisierte und als Signal verkündete: "Ich habe darum in
einer meiner ersten Amtshandlungen Reiner Bischoff im Namen der FSU um Verzeihung
gebeten und ihn nach jahrelanger Abwesenheit im Kreise der DDW-Autoren wieder
willkommen geheißen." (frei & sozial 12/99, S. I)
Kein Wort kam Benjes bezüglich der nationalistischen
Veröffentlichungen von Bischoff über die Lippen.
Stattdessen rühmt er sich, eine tiefergehende Stellungnahme zu
den Vorwürfen der Rechtsausrichtung und ihre Veröffentlichung im
Dritten Weg verhindert zu haben. Eine Erklärung zu verabschieden, die
"erneut den unvermeidlichen Eindruck (..) erweckt, die FSU habe es nötig,
sich immer wieder mal von rechtsradikalen Tendenzen zu distanzieren", hält
er für eine "Zumutung".(ebenda)
Die Partei glaubt also nach wie vor, mit der vom Parteivorstand am
18.10.96 formulierten Erklärung zum politischen Standort,
in der Frage der eigenen Verstrickung mit rechten Tendenzen , einen ausreichende
Klärung bewerkstelligt zu haben. In der Erklärung spricht man zwar
nicht konkret, jedoch allgemein von jeder Relativierung oder Beschönigung
von Verbrechen, die im Namen von nationalsozialistischen und
stalinistischen Staaten begangen worden sind.
In Erklärung heißt es:
"Auch die Verteidigung gegenüber Bedrohungen von außen kann
nur auf dem Fundament eines gesicherten Bürgerfriedens gelingen. Ebenso
hat der Staat sich jeder Drohung und Anwendung von Gewalt gegenüber
anderen Völkern, Volksgruppen und Rassen zu enthalten. Die gewaltsame
Verschiebung von Grenzen ist ein absolutes Tabu. Alle Staaten, die in der
Vergangenheit oder Gegenwart die Gewalt als Mittel der Politik einsetzten
oder heute noch einsetzen, waren oder sind von Verbrechern geleitete
Staaten.
Totalitäre Systeme, gleichgültig ob sie sich als linke oder rechte
bezeichnen, sind somit die schlimmsten Feinde des Friedens unter allen Menschen.
In unseren Jahrhundert zählten dazu stalinistische, faschistische bzw.
nationalsozialistische Staaten. Die freisozialen Grundsatzforderungen dienen
dazu, solche barbarischen Systeme zu verhindern.
Wir distanzieren uns energisch von jeder Relativierung oder Beschönigung
von Verbrechen, die im Namen der genannten Unrechtssysteme verübt
wurden.
Das hier Dargestellte macht den Standpunkt der FSU deutlich, daß sie
lediglich die ökonomischen Ansichten Gesells teilt, nicht aber seine
staatsrechtlichen, philosophischen und religiösen Überlegungen.
Vorwürfe, die sich auf diese Überlegungen beziehen, gehen am Standpunkt
der FSU vorbei."
Eine konkrete Benennung, Aufarbeitung und Distanzierung von Verfehlungen
im Rahmen nationalistischer Stellungnahmen und Publikationen in der Vergangenheit
von eigenen Mitglieder oder Parteiebenen , sucht man jedoch in den Stellungnahmen
der Partei bis heute vergebens.
Gesell ist weder als Nationalist, noch als Antisemit, oder Propagandist des
Nationalsozialismus einzustufen. Manches braune Versatzstück hat er
klarer gesehen und kritisiert als seine Zeitgenossen.
Dennoch müssen, wenn man sich mit der Frage der rechten Tendenzen in
der Freiwirtschaftbewegung befaßt, auch das konkrete Verhalten und
die theoretischen Überzeugungen Gesells noch einmal kritisch
überprüft werden. Seine anfängliche Duldung, man mag sie auch
Toleranz nennen, gegenüber national gesinnten Anhängern sowie seine
Gedanken zur "Hochzucht des Menschengeschlechtes" sind hier wohl als wichtige
Ansatzpunkte für eine kritische historische Untersuchungen anzusehen.
Gesell spricht sich in den letztgenannten Textstellen für eine von den
Frauen praktizierte freiwillige Art der Eugenik aus, die auf
diese Weise den liebevolleren, humaneren, besseren Menscheneigenschaften
zum Durchbruch verhelfen sollten. Eine für wahr äußerst
befremdliche Vorstellung, die jedoch in ähnlicher Form auch bei anderen
Kommuneschilderungen der Frühsozialisten und Vertreten der politischen
Utopie zu finden sind. Bei Gesell ist sie mit einer Form des
Biologismus verbunden. Er geht scheinbar davon aus, daß negative
soziale Verhaltensweisen, wie z.B. Alkoholismus vererbt werden, eine
wissenschaftlich unhaltbare Vorstellung. Für seine Wirtschaftsauffassungen
sind diese Gesellschaftsvorstellungen irrelevant. In Verkennung der Problematik
meinen heute jedoch immer noch einige wenige Freiwirte diese Auffassungen
als "frauenemanzipativ" darstellen zu können.
Ein grundsätzlicher Rassismus, im Sinne der Abwertung anderer Rassen
lag Gesell jedoch fern.
Er setzte auf den "Liebeswettbewerb" der einzelnen Männer, eine Vorstellung,
die mit Sicherheit nicht zu seinen "geistigen Glanztaten" zu zählen
ist und die viele der ihn einordnenden Mißverständnisse hervorgerufen
hat. Diese Auffassung korrespondierte teilweise mit seiner privaten
Lebensführung. Vielleicht sind sind eher hier Erklärungen
für seine diesbezüglichen theoretischen Eskapaden zu finden als
in einer fundierten rassistischen Gesinnung, wie ihm immer wieder von
verschiedenen Seiten unterstellt wird.
Gesell ging es, wenn man von einzelnen unreflektierten Äußerungen
absieht, um den einzelnen Menschen, ganze Völker- und Rassen negativ
einzuordneten lehnte er ab. Dies bezeugt auch folgendes Zitat aus dem Jahre
1924:
"Das völkische, soweit es in Politik ausgeartet ist, muß bis
aufs Messer bekämpft werden (...) Jeder Herabwürdigung anderer
Rassen ist mit Kraft entgegenzutreten, so daß alles, was wir sagen
und schreiben, ohne weiteres in alle Länder der Weklt, unter alle
Völker des Menschengeschlechtes getragen werden kann.(..) Das Kosmische,
das Allmenschliche der Freiwirtschaft muß den Geist unseres Kampfes
tragen. Die Liebe zum Menschengeschlecht, zu dem von Allen Göttern
verlassenen Menschengeschlecht muß das Arsenal liefern, wo wir unsere
Waffen herholen im Kampfe mit nationalistischen Anschauungen und
Vorurteilen"
(Silvio Gesell: Gesammelte Werke, Bd. 15, Lütjenburg 1994,
S.109)
Es stellt sich abschließend die Frage ob und inwiefern national
ausgerichtete Anhänger der Bewegung durch Gesells Verhalten und einige
seiner aus der Äußerungen, sich in ihren Argumentationen
zunächst bestärkt fühlen konnten.
Entgegen der Auffassung Gesells gab es vor allem in den zwanziger und
dreißiger Jahren nicht wenige Anhänger Gesells, die seine Theorien
mühelos mit nationalen, rassistischen, verschwörungstheoretischen
und antisemitischen Auffassungen verbunden haben.
Sich nur auf diese Anhänger zu beziehen und nicht gleichzeitig auch
Freiwirte und Freiwirtinnen zu benennen, die mutig gegen die Nationalsozialisten,
Antisemiten und Rassisten ihre Stimme, erhoben haben, würde der
Gesamtbewegung und dem Kampf sowie dem damit verbundenen Leiden dieser
engagierten freiwirtschaftlichen Menschen nicht gerecht werden.
Die Freiwirtschaftsbewegung bestand, wie wohl die Mehrzahl anderer Gruppen
innerhalb Deutschlands, nicht aus "Helden" des Widerstands. Sie war aber
auch auf Grund ihrer internationalen Ausrichtung, kein ideologischer
Ideenlieferant der Nationalsozialisten. Zudem war und ist sie äußerst
heterogen zusammengesetzt.
Gerade dieses Faktum macht eine differenzierende Betrachtung umso
notwendiger.
Für rechtes Gedankengut anfällige Theoriedefizite gab es vor allem
in der Frage des Menschenbildes.
Das ordnungspolitisch Leitbild der unbedingten Konkurrenz wurde in der Bewegung
kaum hinterfragt. Die Fehlende Thematisierung der "Solidarität mit
Schwachen" ist ein Theoriedefizit, daß die Bewegung anfällig
für rechte Tendenzen machte.
Dieser kurze Abriß mag als eine Einführung in die Problematik
des Verhältnisses von Freiwirtschaftsbewegung und braunem Gedankengut
dienen.
Wie man sieht, ist das Verhältnis von Freiwirtschaftsbewegung und
Nationalsozialismus immer noch nicht ausreichend beschrieben und angemessen
eingeordnet.
Die Diskussion um den Zusammenhang von Freiwirtschaftsbewegung und rechten
Tendenzen wird stark vom ideologischen Hintergrund der Teilnehmer der
Debatte bestimmt und manchem Text ist anzumerken, daß nicht die Suche
nach der historischen Wahrheit sondern eher die Ausschaltung eines
mißliebigen Theoriekonkurrenten als Motiv seiner Entstehung zu
gelten hat. Der "Kampf um die Köpfe des engagierten Publikums
"wird nicht gerade mit weichen Bandagen geführt.
Das macht die Einordnung und Forschung auf diesem Gebiet nicht leichter.
Sachliche Forschungsarbeit, die zu unterscheiden vermag, ist
daher umso dringender geboten. Zwar ist mit dem Werk von Werner Onken,
(Natürliche Wirtschaftsordnung unter dem Hakenkreuz - Anpassung und
Widerstand, Lütjenburg 1997), insbesondere seines eigenem im Buch
enthaltenen Teiles, ein wichtiger Beitrag zur Aufklärung des
Verhältnisses von Freiwirtschaft, Nationalismus und Rassismus unternommen
worden, dies kann jedoch nur ein erster Schritt für die weitere
Auseinandersetzung, mit dieser Thematik bedeuten.
Hans-Joachim Werner