Der Vertrag von Rambouillet: Ein Besatzungsstatut
für Jugoslawien
Zweifel an der Ernsthaftigkeit
Der Rambouillet -Vertrag hat für die Zukunft des Kosovo keine Bedeutung
mehr. Warum dann nicht einen Text einfach zu den Akten legen, der
spätestens seit Beginn der Luftangriffe Makulatur war? Weil er ein neues
Licht auf die Umstände wirft, die zu den Nato-Angriffen auf Jugoslawien
geführt haben. Der Wortlaut nährt Zweifel an der Ernsthaftigkeit
der Bemühungen um eine politische Lösung des Konflikts seitens
der beiligten westlichen Staaten. Der militärische Teil des Vertragsentwurfs läuft auf ein Besatzungsstatut für ganz Jugoslawien hinaus. Er sieht ungehinderten Zugang und Benutzung aller Einrichtungen des Landes für die gesamte Nato vor. Die jugoslawischen Behörden haben Nato Forderungen zu erfüllen. Die Soldaten, denen Immunität zugesichert wird, können in ganz Jugoslawien Lager einrichten und Manöver abhalten. In der westlichen Öffentlichkeit ist während der Kosovo-Verhandlungen der Eindruck entstanden, allein die Sturheit des serbischen Präsidenten Milosevic habe eine Einigung verhindert. Dieser Eindruck ist falsch. Ein Abkommen wie dieses kann kein Staatsoberhaupt eines souveränen Staates unterschreiben. Angesichts der unfaßbaren Verbrechen, die Milo- |
sevic zu verantworten hat, fällt diese Erkenntnis nicht leicht.
Vermutlich hätte er auch einem akzeptablen Entwurf nicht zugestimmt.
Aber darum geht es nicht. Es geht auch nicht um die Frage, ob es überhaupt
sinnvoll ist, mit jemanden ein Abkommen zu schließen, der Verträge
schon so offt gebrochen hat. Indem die Balkan-Kontaktgruppe mit Milosevic
verhandelt hat, hat sie für sich zum damaligen Zeitpunkt diese Frage
bejaht. An dieser Einschätzung muß sich ihre Diplomatie messen
lassen. Wenn die Verhandlungen wirklich eine Einigung zum Ziel hatten und nicht lediglich Skeptiker von der Unausweichlichkeit der Nato-Angriffe überzeugen sollten, dann ist dieser Vertragstext unbegreiflich. Haben die Politiker in Bonn, Washington und anderen Hauptstädten allein den Nato-Strategen die Formulierung des militärischen Teils überlassen uns sich selbst nicht weiter darum gekümmert? Haben sie angenommen, Milosevic werde Nachbesserungen verlangen und über Details ließe sich reden? Das wäre angesichts des ohnehin vergifteten Klimas unerträglich leichtfertig. Die Frage steht im Raum, ob wirklich alle Beteiligten die Luftschläge nur als letztes Mittel sahen, das es zu verhindert galt. Bettina Gaus (TAZ 06.04.1999, S.9) |
Hermann Scheer, SPD-Bundestagsabgeordneter und Mitglied des Bundesvorstandes
seiner Partei, findet klare Worte für einige Passagen des Autonomieplans
der Balkan-Kontaktgruppe für das Kosovo:"Diese Artuikel des Vertragstextes
von rambouillet zeigen: Es war unrichtig von der Bundesregierung, zu glauben
und dem Parlament und der Öffentlichkeit zu suggerieren, dieser Vertrag
hätte Belgrad jemals unterschrieben werden können selbst ein
gemäßigter serbischer Politiker an der Stelle von Milosevic
hätte diesen Text niemals unterzeichnet." Scheer gründet seinen Vorwurf an die Adresse der Regierung Schröder /Fischer auf die Artikel 6, 8 und 10 des militärischen Annex B im Entwurf des Abkommens, den die Kosover-Albaner, nicht aber die Belgrader Regierung, am 18. März auf der Rambouillet-Fortsetzungskonferenz in Paris unterschrieben hatten. Dieser Annex B definiert den Status der Nato-geführten militärischen "Implementierungstruppe" (Kosovo Forces, KFOR) in der Größenordnung von 28.000 Soldaten, die zu Umsetzung eines Abkommens im Kosovo stationiert werden sollte. Doch Artikel 8 des Annex legt fest, daß sich das "Nato-Personal" inclusive seiner Fahrzeuge, Schiffe und Flugzeuge nicht nur in der südserbischen Provinz Kosovo, sondern in der gesamten "Bundesrepublik Jugoslawien" (FRY) - sprich in ganz Serbien und Montenegro - sowie in ihrem Luftraum und ihren Terriotorialgewässern "völlig uneingeschränkt bewegen" und sämtliche Einrichtungen für eigene Zwecke nutzen kann (siehe Kasten). Laut Artikel 6 des Annex sollen die Nato und ihr Personal in der Bundesrepublik Jugoslawien völlige Immunität genießen - strafrechtlich und zivilrechtlich. Und Artikel 10 bestimmt, daß die Nato dort jegliche Infrastruktur kosten- und gebührenfrei nutzen kann. |
Nach Ansicht von Scheer sind dies nicht Bestimmungen für eine
internationale Truppe zu Implementierung eines Autonomie abkommens für
den Kosovo, sondern für ein Nato-Besatzungsstatut für ganz
Jugoslawien. Auch wenn das Rambouillet-Abkommen inzwischen Makulatur ist, bleibt die Frage, warum weder die serbische Verhandlungsdelegation bei den Konferenzen von Rambouillet und Paris noch die russische Regierung diese Artikel nie kritisiert haben. Eine mögliche Erklärung: Milosevic hat die Stationierung einer internationalen Truppe im Kosovo bis zuletzt immer grundsätzlich abgelehnt. Seine Delegation war nur bereit, über den politischen Teil des Entwurfs der Kontaktgruppe zu verhandeln und hat den gesamten militärischen Teil mehrfach als für sie "nicht existent" bezeichnet. Deswegen konnte sich die Delegation dann auch am Verhandlungstisch nicht auf Diskussionen über einzelne Artikel dieses Teils einlassen. Dennoch hätte Belgrad diese Artikel öffentlich zur Begründung für die Ablehnung des Abkommens nutzen und damit wahrscheinlich auch in einigen Nato-Ländern durchaus kritische Fragen an die Regierungen provozieren können. Rußland hat als Mitglied der Balkan-Kontaktgruppe den Entwurf für ein Autonomieabkommen zu Beginn der Rambouillet-Verhandlungen am 5. Februar zwar zumindest nach außen hin mitgetragen, sich im Verlaufe der Verhandlungen aber immer deutlicher von dem gesamten militärischen Implementierungsteil distanziert.Doch - zumindest nach außen hin - nahm Moskau nie kritisch Stellung zu den Artikeln 6,8 und 10 von Annex B oder zu anderen Details des militärischen Implementierungsteils. Andreas Zumach (TAZ 06.04.1999, S.6) |
Artikel 6 a)Die Nato genießt Immunität vor allen rechtlichen Verfahren - ob zivil-, verwaltungs- oder strafrechtlich. b) Die zur Nato gehörenden Personen genießen unter allen Umständen und zu jeder Zeit Immunität vor der Gerichtsbarkeit der Konfliktparteien (gemeint sind die Kosovo-Albaner und die Belgrader Regierung, d. Red.) hinsichtlich sämtlicher zivil-, verwaltungs-, straf- oder disziplinarrechtlicher Vergehenen, die sie möglicherweise in der Bundesrepublik Jugoslawien begehen. Die Konfliktparteien sollen die an der Nato-Operation beteiligten Staaten dabei unterstützen, ihre Jurisdiktion über ihre eigenen staatsangehörigen auszuüben. Artikel 8 Das Nato- Personal soll sich mitsamt seiner Fahrzeuge und Ausrüstung innerhalb der gesamten Bundesrepublik Jugoslawien inclusive ihres Luftraumes und ihrer Territorialgewässer frei und ungehindert sowie ohne Zugangsbeschränkungen bewegen können. |
Das schließt ein - ist aber nicht begrenzt auf - das Recht zur
Errichtung von Lagern, die Durchführung von Manövern und das Recht
auf die Nutzung sämtlicher Regionen oder Einrichtungen, die benötigt
werden für Nachschub, training und Feldoperationen.(...) Artikel 10 Die Behörden der Bundesrepublik Jugoslawien sollen den Transport von Personal, Fahrzeugen, Schiffen, Flugzeugen, Ausrüstung, oder Nachschub, Häfen, Straßen oder Flughäfen mit allen angemessenen Mitteln und mit Priorität ermöglichen. Der Nato dürfen keine Kosten berechnet werden für die Starts, Landung oder Luftraum-Navigation von Flugzeugen. Ebenso dürfen keine Zölle, Gebühren oder andere Kosten erhoben werden für die Nutzung von Häfen durch Schiffe der Nato. Fahrzeuge, Schiffe oder Flugzeuge, die bei der Nato-Operation eingesetzt werden, unterliegen keiner Verpflichtung zur Genehmigung, Registrierung oder kommerziellen Versicherung. |
Die Rambouillet-Lüge: Was wußte Joschka
Fischer?
Die Abgeordneten des Bundestages und die Führung des Auswärtigen
Amtes waren über wesentliche Bestimmungen des Abkommens von Rambouillet
nicht informiert.
Das Bonner Außenministerium verweist Journalisten, die Auskunft wollen,
an die taz
Genf (taz) - Der größte Teil der Leitungsebene des Bonner
Auswärtigen Amtes war bis letzte Woche über wesentliche Bestimmungen
des Rambouillet-Abkommens für eine Autonomie des Kosovo nicht informiert. Dabei stand der Text seit dem 23. Februar auf verschiedenen Homepages im Internet, darunter zeitweise der der Nato. Den Abgeordneten des Deutschen Bundestages wurde der vollständige Text des Abkommens bis letzte Woche von der Bundesregierung vorenthalten. Mit der Nichtunterzeichnung des Abkommens durch Belgrad hatte die Bundesregierung den Beginn der Luftangriffe gegen Restjugoslawien am 24. März begründet. Am Dienstag letzter Woche hatte die taz die Artikel 6, 8 und 10 aus dem militärischen Annex B des Rambouillet-Abkommens veröffentlicht. Daraus wird deutlich, daß mit dem Abkommen nicht - wie von der Bundesregierung bislang öffentlich dargestellt - lediglich die Stationierung einer Nato-geführten internationalen "Implementierungstruppe" im Kosovo beabsichtigt war. Vielmehr ging es um die Stationierung einer Nato-Truppe in der gesamten Bundesrepublik Jugoslawien mit de facto uneingeschränkten Rechten einer Besatzungsmacht. Das AA reagierte auf die taz-Veröffentlichung verwirrt: Zwei Mitglieder der dreiköpfigen Leitungsebene unterhalb von Minister Fischer - die Staatsminister Günter Verheugen (SPD) und Ludger Volmer (Grüne) sowie Staatssekretär Wolfgang Ischinger - erklärten auf Nachfragen von Journalisten und Abgeordneten, ihnen seien die in der taz dokumentierten Artikel aus dem Annex B "völlig neu", und sie könnten dazu keine Stellung nehmen. |
Der dritte behauptete, die dokumentierten Passagen entstammten einer
älteren, nicht mehr aktuellen Fassung des Abkommens. Zudem wäre
der militärische Annex ja "verhandelbar" gewesen, doch habe Belgrad
jegliche Diskussion über diesen Teil des Abkommens verweigert. Erst
nach der taz-Veröffentlichung des militärischen Annex wurde der
Text auf Drängen von Abgeordneten verschiedener Parteien schließlich
am Donnerstag an das Parlament ausgeliefert. Gegenüber den Medien gilt
die Geheimhaltung nach wie vor. Als die KorrespondentInnen einer großen
überregionalen Tageszeitung und einer großen Regionalzeitung am
Freitag im AA um den Text des Abkommens baten, wurden sie an die Bonner
Korrespondentin der taz, Bettina Gaus, verwiesen. Gaus habe die Internet-Adresse,
auf der das Abkommen veröffentlicht sei. Auch wenn das Rambouillet-Abkommen
inzwischen Makulatur ist, bedürfen die Umstände, unter denen die
Beteiligung Deutschlands an den Nato-Luftangriffen zustande kam, dringend
der Aufklärung. Kannte Außenminister Fischer den vollständigen
Text des Vertrages vor dem 24. März? Oder hat die Bundesregierung das
Parlament und die Öffentlichkeit gar gezielt in die Irre geführt?
Die Grünen-Abgeordnete Angelika Beer erklärte inzwischen in einem
Schreiben an Fischer, daß sie sich gegen die Umsetzung der
Nato-Aktivationsorder - also den Beginn des Luftkrieges - ausgesprochen
hätte, wenn sie den Text des Abkommens gekannt hätte. Fischer habe
nicht alle diplomatischen Spielräume bei den Verhandlungen genutzt und
Informationen über den Vertrag zurückgehalten. Andreas Zumach (taz Nr. 5808 vom 12.4.1999 Seite 1) |
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H.-J.Werner Letzte Änderung am 18.04.1999
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